Über den Blödsinn der mitochondrialen Diagnostik und Therapie bzw. der Behandlung mitochondrialer Dysfunktionen mit Mikroimmuntherapie


Vor einigen Jahren haben Meinungsmacher der Medizin und Vermarkter von Nahrungsergänzungsmitteln den Heilpraktiker als Vertriebskanal für besonders dubiose und teure Tests und Nahrungsergänzungsmittel rund um das Thema „mitochondriale Therapie“ entdeckt (z. B. Medizinische Gesellschaft für Mikroimmuntherapie).

Die Angebote der „Mito-Medizin“ haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind teuer und müssen in aller Regel selbst bezahlt werden. Zunächst der Labortest, um die „mitochondriale Dysfunktion“ zu diagnostizieren: eine Unzahl von Vitaminen (C, E, K, D, A und alle B-Vitamine), Biotin, Coenzym Q10, Glutathion, Omega-3-Fettsäuren, Aminosäuren, Selen, Mangan und viele Parameter mehr.
Die meisten dieser mit schmuckvollen Assoziationen beworbenen Parameter führen aber weder zu brauchbaren Diagnosestellungen noch zu einem heilerfolgreichen Therapieregime.
Weder das pathophysiologische Erklärungsmodell der Mito-Medizin noch die Wirkrationale der vorgeschlagenen Therapieansätze sind wissenschaftlich hinreichend belegt. Vor allem bleibt unklar, wie die Versorgung mit Elektrolyten und Spurenelementen, die normalerweise in ausreichender Menge mit der Nahrung aufgenommen werden (Die Messergebnisse spiegeln keineswegs den individuellen Bedarf wider!), gezielt die Funktion der Mitochondrien verbessern soll. Und danach die Therapie: meist teure Nahrungsergänzungsmittel, die den schlappen Mitochondrien wieder Leben einhauchen sollen. Zahlreiche Praxen werben im Internet mit dem neuen Trend. Sie behaupten „Burnout beginnt in den Mitochondrien“, und sie wollen „die volle Zellkraftwerkspower wiederherstellen“.


Viele Therapeuten wissen nicht, was Mitochondrien überhaupt sind

Mitochondrien sind kleine, ovale Gebilde in allen Zellen, auch „Kraftwerke der Zelle“ genannt. In ihnen werden Fette und Kohlenhydrate verbrannt, wodurch Energie für den Körper erzeugt wird. Jede, absolut jede zelluläre Aktion und jeder Gedanke benötigen diese Power aus den Mitochondrien.
Deshalb klingt die Botschaft ja so einleuchtend: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, häufige Infekte, Migräne, sogar Depressionen, Reizdarm, unerfüllter Kinderwunsch, Diabetes und Übergewicht – immer sind kaputte Mitochondrien schuld.

Grundlage dieser Werbung ist unwissenschaftliche und durch nichts bewiesene anekdotische (Internet-) Evidenz. Darum sind seriöse Wissenschaftler alarmiert und fürchten, dass durch diese Quacksalberei das ganze Forschungsgebiet in Verruf geraten könnte. Sie beziehen klar Stellung: Die Formel „Erschöpfung gleich Mitochondrienleiden“ ist eine grobe und unzulässige Vereinfachung. Die Medizin befindet sich bezüglich der Rolle der Mitochondrien bei Erkrankungsprozessen noch in der Grundlagenforschung.
Noch schlimmer ist die Situation bei der Therapie. Alternativmediziner empfehlen neben allgemeinen Maßnahmen wie Ernährungsumstellung, weniger Stress, mehr Bewegung und mehr Schlaf (durchaus sinnvolle Maßnahmen, die nicht schaden können) vor allem eine Therapie mit Spurenelementen, Vitaminen und teuren Nahrungsergänzungsmitteln wie etwa Coenzym Q10. Qualitativ hochwertige Studien belegen jedoch, dass diese Substanzen nicht nur nicht wirken, sondern Schaden anrichten können. Bei Krebserkrankungen könnte z. B. eine solche Therapie (wie auch die Einnahme von synthetischem Vitamin D und von B-Vitaminen) die Mitochondrien in den Krebszellen boosten. Synthetisch hergestellte Vitalstoffe sind Chemikalien, die im Organismus ganz anderen Wirkungen entfalten als die im natürlichen Verbund mit der Nahrung zugeführten Vitalstoffe.


Die Naturheilkunde verkommt zu einem Jahrmarkt

Einige Firmen versprechen, mittels Immunmodulation durch Zytokine und spezifische Nucleinsäuren in hohen Verdünnungen „… die mitochondrialen Dysfunktionen und ihre Folgewirkungen einzugrenzen, indem der fehlgeleiteten Entzündungskaskade, der unkontrollierten Immunaktivierung und oxidativen Schäden entgegengewirkt und gleichzeitig der mitochondriale Metabolismus optimiert werden soll.“
Diese Mikroimmuntherapie will eine Homöopathie-Variante sein, bei der Botenstoffe bestimmter Zellen des Immunsystems (Zytokine), homöopathisch potenziert und sublingual verabreicht werden. Angeblich wird über die potenzierte Wirkung von Zytokinen das Immunsystem moduliert.
Ein Anbieter von Mikroimmuntherapeutika ist das belgische Unternehmen Labo'Life, welches angibt, dass es sich ausschließlich um gentechnisch hergestellte Substanzen handle, die homöopathisch aufbereitet werden: Gesetzliche Anforderung ist, dass die Mittel mindestens in der 4. Dezimalpotenz verdünnt sind. Genaue Angaben zu Wirkung und Zusammensetzung der Mittel fehlen.
Andere Firmen promoten im Zusammenhang mit der Mikroimmuntherapie so genannte Mikronährstoffe wie α-Liponsäure, Biotin, die Vitamine B1, 3, 5, 6, 12, C, E, K, D und A, Magnesium, Calcium, Kupfer, Zink, L-Carnithin, Coenzym Q10, Glutathion, Omega-3-Fettsäuren, Aminosäuren, Selen (Glutathion Peroxidase), Mangan (Superoxid Dismutase), Vitamin B2 (Glutathion Reduktase) und Eisen (Katalase), also Mittel mit zumeist antioxidativen Eigenschaften.
Es handelt sich sämtlich um Assoziationen und durch nichts bewiesene Behauptungen. Eine Supplementierung von Antioxidantien kann Interventiosstudien zufolge zu einer gesteigerten Krebshäufigkeit und zu einem erhöhten Sterberisiko führen.


Studienlage

Der medizinisch wissenschaftlichen Abteilung des BIO-LABORS (Netzwerk Kumulativbefundrecherche, Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen, Erfahrungen in eigenen Praxen etc.) ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Patient infolge Anwendung der Mikroimmuntherapie dauerhaft von einer real existierenden Krankheit befreit wurde.
Es gibt keine ernstzunehmende Studie, die die Sinnhaftigkeit einer Mikroimmuntherapie beweist.
Die Aussagekraft von Studien hängt entscheidend davon ab, mit welcher Methodik geforscht wird. Bezüglich der Bewerbung der Mikroimmuntherapie – insbesondere für die Anwendung von Mikronährstoffen wie Cholecalciferol-haltigen Präparaten – wurden ausschließlich Assoziationsstudien, jedoch keine Interventionsstudien mit den Studiendesigns randomisierte Placebo-kontrollierte Studie und Mendelsche Randomisierungs-Studie herangezogen.


Unterschied Assoziationsstudien und Interventionsstudien am Beispiel Vitamin D

Bei einer Assoziationsstudie werden nur Daten gesammelt. Beispiel: Man nimmt eine Gruppe von Krebskranken, misst ihren Vitamin D-Spiegel und vergleicht ihn mit dem von gesunden Menschen. Diese Assoziationsstudien gibt es bezüglich Vitamin D für de facto alle Erkrankungen, und tatsächlich gibt es nahezu keine Erkrankung, bei der man nicht findet: je niedriger der Spiegel ist, je schlechter geht’s dem Patienten. Damit ist aber überhaupt nicht gesagt, dass eine Anhebung des Spiegels irgendetwas verbessert.
Bei einer Interventionsstudie dagegen wird genau dieser Frage nachgegangen: ändert mehr Vitamin D den Gesundheitszustand? Die Kranken werden in zwei Gruppen geteilt. Die eine Gruppe erhält Vitamin D, die andere nur ein Placebo. So lässt sich feststellen, ob zusätzliches Vitamin D auch die Krankheitssymptome verbessert.
Es gibt sehr viele sehr große Interventionsstudien mit jeweils mehr als 25 tausend Menschen mit dem Ergebnis: Wenn man ihnen zusätzlich Vitamin D gibt, kommt kein relevanter Nutzen für irgendwelche Krankheiten heraus. Die Interventionsstudien, die es mittlerweile für alle Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen bis hin zum Herzinfarkt und Schlaganfall, Depressionen, selbst für Knochenbrüche und Osteoporose gibt, beweisen, dass Vitamin D keinen Nutzen hat.
Die Ergebnisse verwundern nicht, gilt doch als bewiesen, dass gesunde Menschen – das ist die Menschengruppe, die sich gesund ernährt, sich häufig im Freien aufhält und Sport treibt und wenige oder keine Vorerkrankungen hat – natürlicherweise hohe Vitamin D-Spiegel haben. Die Gruppe der kranken Menschen dagegen hat natürlicherweise niedrige Spiegel. Darum geht es hier; die Aussage ist also eine gänzlich andere und hat mit der Substitution von Vitamin D-Pillen nichts zu tun. Es ist aber ein ideales Beispiel dafür, wie die pharmazeutische Großindustrie und Meinungsmacher der Medizin mit unzulässigen Umkehrschlüssen, Scheinursachen und Scheinzusammenhängen argumentieren, um ihre dubiosen Geschäfte anzukurbeln.


Fazit

Biologische Ganzheitsdiagnostik und -therapie sollte da anfangen, wo die Weisheit der Schulmedizin aufhört, sie aber nicht infrage stellen und durch Hokuspokus und Voodoo ersetzen.
Deswegen rate ich, davon die Finger zu lassen und die Begriffe „mitochondriale Dysfunktion“ und „Mikroimmuntherapie“ nicht zu verwenden.